Doing gender oder: wer ich hätte sein können

Doing gender oder: wer ich hätte sein können

Doing gender oder: wer ich hätte sein können

Philipp hätte ich geheißen,
wäre ich ein Junge.
Wär‘s für mich normal gewesen,
Bälle durch Scheiben zu schmeißen?
Laut zu sein, aufzubegehren,
wo viele Mädchen schweigen.
Radikal mit schneller Zunge
mich gegen Angriffe zu wehren.
Oder hätt‘ ich sie genutzt,
um Mädchen zu belästigen,
um Fußballer anzufeuern,
Homophobie in den Köpfen zu festigen?
Des Stolzes wegen im Hof geprügelt
und blutige Lippen mit erhobenem Haupt
ertragen und vom Respekt beflügelt
noch schnell Zigaretten geklaut?
Wär ich Nachhilfelehrer statt -schüler
gewesen und Mathe mein Lieblingsfach?
Wär‘n dig picks mein Selfie, Cappies mein Make Up,
Mama mir peinlich und Weinen wär schwach?
Oder hätt‘ ich trotzdem Nagellack getragen
zu Vollbart und Hipster-Hochwasser-Hose?
Und mich in selbstbewusster Pose
getraut, nach Recht und Gerechtem zu fragen?
Und warum mach ich all das nicht,
nur weil ich Jaska heiß‘?
Wer hat entschieden, dass ich mich
immer zusammenreiß‘?
Bin ich selbst Schuld, wenn ich meine
Grenzen aufrechterhalte?
Oder verhindert das große Ganze,
dass ich mich frei entfalte?

Ist es meine Weiblichkeit,
die meine Ängste festhält?
Verursacht oder letztlich stürzt,
weil sie mir zu viel verstellt –
sodass ich laut werd‘,
als wär‘ ich Philipp,
obwohl ich Jaska heiß‘;
vielleicht ist‘s die fragwürdige Weiblichkeit,
aus der sich mein Aktivismus speist.
Oder sind die Ängste
eigentlich mein größtes Gut?
Sorgen sie denn nicht dafür,
dass man sich nicht vertut?
Nicht erst laut zu tönen
ohne drüber nachzudenken,
der großen Klappe frönen
statt demütig den Blick senken.
Ich als Jaska, Mädchen, Frau
senk viel zu oft den Blick.
Extro-vertieren, nach außen wenden, LAUT
sein, ich will nicht in die Stille zurück.
Vielleicht ist da in mir auch ein Philipp,
mein Testosteron-Ich.
Denn Ich ist hybrid und jeden Tag anders
und manchmal sag ich laut „ja man, ich kann das!“,
feuer‘ Fußballer an und belästige
Jungs, trag Nagellack, guck das zwanzigste
Mal titanic, das Bier zischt
und alle Kategorien sind vermischt.
Darf ich mich dann Aktivistin nennen?
Wenn ich alles bin
und nichts, inkonsequent und erwachsen
genauso wie Kind;
manchmal doch still, wenn ich mir zu laut werd
und meine Welt nicht mehr höre,
schüchtern, genügsam und altrosa-tragend,
und dennoch gegen Klischees aufbegehre.

Und dürfen nicht alle Aktivist*innen sein,
auch die, die nicht meine Meinung teil‘n?
Und hätt‘ ich als Philipp diese Gedanken gedacht
oder hätte ich einfach gemacht?


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Franziska Peikert

Franziska Peikert ist studierte Kulturwissenschaftlerin und lebt in Marburg an der Lahn. Neben dem Schreiben, Singen, kreativen Gestalten und Gesellschaft analysieren schlägt ihr Herz für die Natur und gutes Essen, weshalb sie sich als foodsharing-Botschafterin und im Ernährungsrat Marburg und Umgebung für einen nachhaltigeren Umgang mit Lebensmitteln einsetzt. (Ganz praktisch tut sie dies seit Kurzem auch als Mitarbeiterin in einer Bio-Chocolaterie.)

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